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"Sollte ich meine Hündin kastrieren oder nicht?"

Aktualisiert: 26. Sept. 2022


Hündin Hanna, bisher nicht kastriert

Die Frage aller Fragen, die wohl alle weiblichen Hundebesitzer beschäftigt und uns täglich im Praxisalltag begegnet. Die Beratung von Hundehaltern bezüglich der Vorteile und Nachteile, sowie des optimalen Zeitpunktes der Kastration ihrer Hündin ist überaus komplex und beratungsintensiv. Daher möchten wir nun in einem Blogbeitrag zu dem Thema etwas weiter ausholen und eine kleine Lektüre für Hundehalter zum Nachlesen bereit halten.


Katzen sollten kastriert werden

Bei Katzen ist die Lage ganz klar, eine Kastration sollte unbedingt vorgenommen werden, um unnötige Vermehrung bei Freigängern und gesundheitliche Folgen und Dauerrolligkeiten bei Indoorkatzen zu vermeiden.







Schauen wir ein paar Jahre in die Vergangenheit, war es wirklich so, dass die Kollegen damals möglichst "Alles" kastriert haben, was auf den Behandlungstisch kam. Die Studienlage aus dieser Zeit bestätigte auch die häufige Handlungsweise, denn durch frühzeitige Kastrationen bei Hündinnen wollte man das Risiko für Gebärmuttervereiterungen und Brustkrebs senken.



Doch die Medizin ist nicht umsonst eine Wissenschaft und diese sollte nun mal nicht stillstehen. Sie ist stets im Wandel und entwickelt sich weiter. Beim Thema Kastration hat sich also schon vor einigen Jahren ein Kurswechsel ergeben. Metaanalysen (Arbeiten, die Ergebnisse mehrerer Studien zu einem Thema zusammenfassen und neu bewerten), neue Studien und Gegenstudien zeichnen eine veränderte Sichtweise. Noch dazu widerspricht es heute dem Tierschutzgesetz, einem Tier ohne Indikation Organe (im Kastrationsfall: Eierstöcke und /oder Gebärmutter) zu entfernen.


Die Kastration einer Hündin bedeutete früher im Übrigen häufig eine Ovariohysterektomie (Entfernung der Eierstöcke + Gebärmutter) durchzuführen. Heutzutage ist es empfehlenswert bei einer gesunden Hündin nur noch eine Ovarektomie ( Entfernung der Eierstöcke) durchzuführen, denn nach neusten Studien entsteht eine Pyometra / Stumpfpyometra nur als Folge von Ovarrestgewebe oder durch exogen zugeführte Sexualsteroide.

 

Nun möchten wir hier zusammenfassend einen auf aktuellen Studien basierenden Überblick über mögliche Vor- und Nachteile einer Kastration geben und dabei auch den Zeitpunkt der Kastration beleuchten.


Nachteile einer Kastration der Hündin:


a) Entstehung einer juvenilen Vulva mit möglicher Vulvaentzündung durch enges Anliegen der Haut

Meist beschrieben bei Frühkastration (vor der ersten Läufigkeit), da durch Ausbleiben einer Läufigkeit die Vulva klein bleibt und nicht durch hormonelle Ödematisierung hervortritt und sich demnach durch enges Anliegen der Haut häufig entzünden kann (Vulvapyodermie).


Vorbereitung Vaginalabstrich Tupferprobe

b) Entstehung von Harninkontinenz

Harninkontinenz wird mit einer Inzidenz von 5–20% als eine der häufigsten Nebenwirkungen der Kastration beschrieben. Erhöhtes Risiko beschrieben bei Hunden über 20 kg. Eine Rassedisposition wird bei Boxer, Dobermann, Riesenschnauzer und Rottweiler erwähnt. Der Einfluss des Kastrationszeitpunkt wird weiterhin kontrovers diskutiert. Auch die Mechanismen, die zur Harninkontinenz nach Kastration führen, sind bis heute nicht eindeutig geklärt.




c) Erhöhung des Risiko zur Entstehung von verschiedenen Tumoren

1) Mastzelltumoren (Tumore der Haut, verschiedene Malignitätsgrade): Kastrierte Hündinnen waren laut Studien dreimal häufiger betroffen als intakte Hündinnen und haben im Vergleich ein 1,2- bis 3-fach höheres Risiko, einen Mastzelltumor zu entwickeln.

2) Lymphome (bösartige Tumore des lymphatischen System): Eine Risikoerhöhung um den Faktor 1,3 bis 2,3 wurde für kastrierte im Vergleich zu intakten Hunden beschrieben.

3) Hämangiosarkome (bösartige Tumore der Blutgefäße): Studien beschreiben ein 1,6- bis 2,4-fach erhöhtes Risiko für kastrierte Hündinnen, besonders erhöhte Rassedispositon bei Viszla Weibchen.

4) Übergangszellkarzinome in der Blasenwand (bösartig): Es wird ein vierfach erhöhtes Risiko beschrieben.

5) Osteosarkome (bösartige Knochentumore): Ein erhöhtes Körpergewicht und Größe der kastrierten Hündinnen steigern das Erkrankungsrisiko.



d) Entstehung von Übergewicht

Bei kastrierten im Vergleich zu intakten Hündinnen wurde eine Reduktion des Energiebedarfs um 25 % festgestellt, doch Übergewicht konnte in Studien nicht einheitlich nachgewiesen werden. Es spielen auch haltungsbedingte Einflüsse eine Rolle (Bewegung, Familienanschluss, Ernährung).


e) Begünstigung der Entstehung eines Diabetes Mellitus

Populationsstudien zeigen keinen Effekt der Senkung des bekanntlich gestagenabhängigen Diabetes Typ 2 Risiko's nach der Kastration, sondern sogar ein häufigeres Auftreten bei kastrierten Hündinnen, egal zu welchem Zeitpunkt die Kastration durchgeführt wurde.


f) Risikoerhöhung für Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion)

Kastrierte weibliche Hunde haben laut Studien eine erhöhte Prävalenz gegenüber Intakten, da durch die Entnahme der Geschlechtsdrüsen die Regulation auf die dopaminerge Kontrolle der Schilddrüse entfällt.

Röntgenaufnahme Knie

g) Erhöhtes Risiko für Kreuzbandrisse: Mehrere Studien bestätigen eine erhöhte Prävalenz für Kreuzbandrisse von kastrierten Hündinnen. Sie lag zwischen 3 bis 5 %. Es ist zu beachten, dass Übergewicht bei kastrierten Tieren Forschungsergebnisse zu den Auswirkungen der Kastration auf den Bewegungsapparat negativ beeinflussen. Ein Grund für die Degeneration des vorderen Kreuzbands ist vermutlich ein vergrößerter Tibiaplateauwinkel (Winkel zwischen Kniescheibenband und Gelenkfläche Schienbein/Knie), sowie die veränderte Position der Tuberositas tibiae (Gelenkfläche Schienbein) als Folge einer frühzeitigen Kastration.

Röntgenaufnahme Hüfte

h) Erhöhtes Risiko für Hüftgelenksdysplasie: Der verzögerte Epiphysenfugenschluss (knöcherne Wachstumsfugen) wird bei kastrierten Hündinnen als Ursache der HD beschrieben, deshalb hat der Zeitpunkt der Kastration einen Einfluss auf die Inzidenz der HD. Umso früher die Hündinnen kastriert wurden, umso höher das Risiko zu erkranken. Eine besondere Rassedisposition besteht für Deutsche Schäferhunde und Golden Retriever.


i) Erhöhtes Risiko für Patellaluxation: Besonders bei kleinen Rassen zeigen Studien, dass kastrierte Hunde ein erhöhtes Risiko um dem Faktor 2,1 aufweisen.


j) Einfluss auf das Verhalten: Am häufigsten wird in Umfragen beschrieben, dass kastrierte Hündinnen eigenwilliger, ängstlicher und aggressiver sind. Dies wurde teils auch in Studien bestätigt. Umso früher die Hunde kastriert wurden, desto stärker die Ängstlichkeit. Besonders bei früh kastrierten Viszla Hündinnen ist die Geräuschangst / Angst vor Gewittern stärker ausgeprägt als bei intakten Hunden. Bei Junghündinnen unter 12 Monaten wird bei bereits beobachteten aggressivem Verhalten sogar von einer Kastration abgeraten, um das Risiko für steigende Aggressionen zu senken. Da individuelle Faktoren eine wichtige Rolle spielen, kann die Art der Verhaltensänderung nach der Kastration bei einer Hündin nicht vorausgesagt werden.




Vorteile einer Kastration der Hündin:


Mammatumore

a) Senkung des Risiko zur Entstehung von Mammatumoren (50 % der Tumore sind gutartig) besonders nach Frühkastration (vor oder nach der ersten Läufigkeit): Die Reduktion des Mammatumor- Risikos nach frühzeitiger Kastration belegen mehrere klinische Studien. Besonders die Kastration vor der ersten Läufigkeit hat einen zu fast 100 % protektiven Effekt auf die Entstehung von Karzinomen und Adenomen der Milchleiste. Der schützende Effekt einer Kastration im höheren Alter jedoch, besteht vor allem in Bezug auf gutartige Tumore (da diese häufig hormonabhängig sind und nachweislich Steroidrezeptoren in den Geweben gefunden wurden). Liegen bereits bösartige Mammatumore vor, beeinflusst eine Kastration den Krankheitsverlauf nicht weiter, da maligne Tumore bewiesenermaßen kaum hormonabhängig sind und demnach trotzdem gern rezidiveren.


b) Senkung des Risiko für Pyometra (Gebärmuttervereiterung): Pyometra und Gebärmutterentzündungen sind nachweislich hormonabhängig. Das Risiko unkastrierter Hündinnen, bis zum 10. Lebensjahr eine Pyometra zu entwickeln, wird je nach Rasse und Ausgangslage mit 2–20% angegeben.



c) Senkung des Risiko für Leiomyome (Tumore im Reproduktionstrakt): Diese treten fast ausschließlich bei intakten Hündinnen auf. Das Rezidivrisiko wird, auch wenn eine unvollständige chirurgische Entfernung des Tumors möglich ist, durch eine Kastration deutlich gemindert.


d) Senkung des Risiko für Erkrankungen der Ovarien, der Eileiter sowie weitere sexualsteroidabhängige Erkrankungen, wie glandulärzystische Hyperplasie


e) keine Scheinträchtigkeiten / Läufigkeit und damit einhergehende Verhaltensauffälligkeiten mehr

Depression in der Scheinträchtigkeit

 
Medizinische Entscheidungen

Neben der Abwägung der Vor- und Nachteile der Kastration einer Hündin, die jung und/ oder gesund und vielleicht schon älter ist , gibt es natürlich auch wichtige medizinische Indikationen für eine operative Entfernung der Geschlechtsdrüsen.








Medizinische Indikationen für eine Kastration bei der Hündin:


Milch aus Zitze

a) Gebärmutterentzündungen / Pyometra

b) Tumore der Gebärmutter

c) häufig wiederholende Scheinträchtigkeiten mit stark depressiven, leidenden Hündinnen, oft mit einhergehender Laktation (Anbildung Milchdrüsen mit Milchfluss) und Inappetenz

d) Zysten, Tumore oder Entzündungen der Eierstöcke


Eierstockszyste

e) Haltungsbedingungen, die eine unerwünschte Fortpflanzung und Vermehrung zwischen Hündin und Rüde nicht unterbinden können







 

Fazit


Abschließend ist festzuhalten, dass auf Grund der unzureichenden Datenlage keine festen Aussagen getroffen werden können und in den nächsten Jahren weitere Studien erforderlich sind.

Bei einer Kastrationfrage ist stets ein Kosten- Nutzenrisiko abzuwägen und dies ist nicht immer einfach, auch für uns Tierärzte nicht.

Fallkonsultation unter Tierärzten

Der Übersichtsartikel aus der Tierärztlichen Praxis 2017 von führenden Fortpflanzungsexperten der Tiermedizin (Sebastian Arlt, Axel Wehrend, Iris Margaret Reichler) gibt folgendes Fazit ab:


"Eine gewünschte Kastration ist bei einer Familienhündin am ehesten zwischen der ersten und zweiten Läufigkeit zu empfehlen, da ein gewisser protektiver Effekt auf die Entstehung von Mammatumoren angenommen werden kann und das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen nach heutigem Wissensstand moderat ausfällt. Zurückhaltung ist bei Hunden mit hohem Risiko für kastra- tionsbedingte Inkontinenz oder für Osteosarkome geboten wie z.B. Rottweiler, Boxer, Dobermann und Riesenschnauzer bzw. Leonberger, Irischer Wolfshund und Bernhardiner. Von einer präpubertären Kastration ist vor allem bei ängstlichen Hündinnen abzuraten."


Zwei großwachsende Hündinnen

Wir jedoch teilen die Meinung dieser Übersichtsarbeit nicht in vollem Maße. Denn wir denken, dass eine Kastration zwischen der ersten und zweiten Läufigkeit, besonders bei großwachsenden Hunderassen problematisch bezüglich der geistigen und körperlichen Entwicklung der Hündinnen ist. Denn diese Rassen sind erst mit 2-3 Jahren voll ausgewachsen und deren 2. Läufigkeit liegt häufig deutlich davor. Unserer Erfahrung als praktizierende Tierärzte nach würde die chirurgische Entfernung der Ovarien demnach zu früh erfolgen.




Letztlich kann es sein, dass in der Zukunft (mit immer weniger kastrierten weiblichen Hunden) auch wieder neue Studien erscheinen und folglich die Fallzahlen für Pyometra und Mammatumore wieder ansteigen. Demnach ist die Frage, ob eine chirurgische Intervention bei diesen Erkrankungen nicht einfacher und besser zu lösen ist, als ein bösartiger Tumor der Milz oder der Knochen? Die Erfolgsaussichten auf Heilung sind im Falle Pyometra (-> Entfernung der vereiterten Gebärmutter und Eierstöcke) und Mammatumor (-> Entfernung der Milchleiste oder einzelner Knoten) natürlich deutlich besser, als bei einer derart bösartigen Tumorprognose.

Team der Tierärztlichen Gemeinschaftspraxis Kolonnadenviertel

Die Entscheidung für oder gegen eine Kastration der Hündin ist sehr individuell, abhängig von viele Faktoren und nur in einem ausführlichen Beratungsgespräch

beim Tierarzt des Vertrauens zu klären. Es gibt dafür leider keine Lösung A oder B, denn der chirurgische Eingriff ist eine unumkehrbare Entscheidung für das Tier, die es gut abzuwiegen gilt.





 

Alle Studenten, Veti's und Interessierte können gerne nochmal im Übersichtsartikel von S. Arlt u.A. nachlesen: https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.15654/TPK-170322




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